Länger leben statt überleben
Insofern steht unsere heutige Vorstellung von einem möglichst langen, gesunden Leben quer zu unserer evolutionären Vergangenheit. Csapo: „Evolutionär betrachtet sind wir nicht dazu bestimmt, 90 Jahre alt zu werden.“ Früher ging es also in erster Linie ums Überleben – nicht ums „Länger Leben“. Und dieses Überleben war körperlich fordernd: Jäger und Sammler brauchten Kraft, Ausdauer und Koordination – also durchaus jene Fähigkeiten, die wir heute in der Sportwissenschaft als zentrale Bestandteile von Fitness definieren.
Heißt im Umkehrschluss: „Auch wenn wir genetisch nicht auf ein langes Leben programmiert sind, so sind wir doch durchaus darauf ausgelegt, fit und leistungsfähig zu sein.“
Begonnen mit den Babyboomern
Unser modernes Verständnis von Fitness als Werkzeug für ein gesundes Altern entwickelte sich erst in den letzten Jahrzehnten. „Der Trend zum Erhalt von Gesundheit und Funktion bis ins hohe Alter hat zeitlich eingeordnet mit der Babyboomer-Generation begonnen“, so Csapo. Unbestritten ist, dass körperliche Aktivität eng mit dem Erhalt gesunder Lebensjahre bis ins hohe Alter verknüpft ist. „Wichtig ist dabei zu unterscheiden zwischen der Fitness im engeren sportlichen Sinn, wo es primär um die körperliche Leistungsfähigkeit geht und der medizinischen gesundheitsorientierten Definition, wo man von der Vorbeugung chronisch-degenerativer Erkrankungen spricht. “Wer möglichst lange gesund und selbstständig leben will, muss heute etwas dafür tun – und idealerweise so früh wie möglich. „Es ist natürlich immer wichtig zu betonen, dass es kein ,zu spät’ gibt“, sagt der Sportwissenschaftler. „Aber am besten wäre es, wenn körperliche Aktivität ein integraler Bestandteil des gesamten Lebens ist – von der Kindheit bis ins Alter.“ Und genau hier sei auch die Politik gefragt. „Es gibt europaweite Initiativen, den Fitnessstatus von Kindern und Jugendlichen systematisch in Schulen zu erfassen, um überhaupt erst eine Grundlage für gezielte Maßnahmen zu schaffen. In Österreich scheitern wir dabei jedoch an den zersplitterten Zuständigkeiten einzelner Gremien“, so Csapo. Gerade in jungen Jahren ließen sich schließlich entscheidende körperliche Grundlagen legen: Koordination, Beweglichkeit, Muskel- und Knochensubstanz. „In der Jugend sind die anabolen, also aufbauenden Prozesse, noch besonders aktiv. Wer hier früh beginnt, legt einen biologischen Vorrat an, von dem man im Alter profitiert – etwa durch längere Mobilität und Selbstständigkeit“, erklärt der Experte.
Doch auch im höheren Lebensalter lohne sich der Einstieg. „Es bringt signifikant etwas, wenn man als Pensionist beginnt, sich mehr körperlich zu betätigen. Natürlich sollte man dann behutsam einsteigen, etwa mit moderatem Ausdauer- und Krafttraining“, so der Sportmediziner. Zu den gelenkschonenden und sanften Sportarten zählen unter anderem Schwimmen, Aquafitness, Nordic Walking, zügiges Spazierengehen sowie Gymnastik speziell für Seniorinnen und Senioren. Als Orientierung gelten 150 Minuten moderates Ausdauertraining pro Woche als ideal. Mit zunehmendem Alter gewinnen zudem auch Krafttraining sowie Übungen zur Verbesserung von Gleichgewicht und Flexibilität zunehmend an Bedeutung.
Bewegung ist Medizin, auch fürs Gehirn
Bewegung wirkt nicht nur auf den Körper, sondern auch auf den Geist. Studien beweisen: Kinder und Jugendliche, die körperlich aktiv sind, schneiden auch in kognitiven Leistungstests besser ab. „Bewegung fördert nicht nur die körperliche, sondern auch die kognitive und psychische Gesundheit“, ergänzt Csapo. „Aktivere Personen leiden seltener an Depressionen und sind mental leistungsfähiger.“ In Schulversuchen konnten Kinder, die sich während des Unterrichts frei bewegen durften, Inhalte besser aufnehmen als ihre still sitzenden Klassenkameraden. Die Erklärung dafür liefert die Biochemie: „Es gibt physiologische Zusammenhänge, etwa die Ausschüttung von Botenstoffen wie der Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF). Dieser stammt aus aktiver Muskulatur und hilft dabei, Konzentrationsfähigkeit und Gedächtnis zu erhalten – auch im Alter“, so der Experte.
Selbst das beste Trainingsprogramm scheitert jedoch, wenn die Motivation fehlt. „Das ist sozusagen der heilige Gral der Trainingswissenschaft“, meint der Sportwissenschafter. Der Schlüssel: realistische Ziele, soziale Bindung – und vor allem Spaß. „Wenn man das Fitnessstudio hasst, wird man es nicht durchhalten. Dann lieber eine Sportart suchen, die einem wirklich Freude macht.“ Hilfreich können Alltagsroutinen sein wie ekleine, regelmäßige Bewegungsimpulse: „Mehr zu Fuß gehen, öfter die Treppe nehmen, das Fahrrad statt das Auto nutzen“, schlägt Csapo vor. „Bewegung sollte nicht als nettes Extra gesehen werden, sondern als essenzieller Bestandteil des Lebens – so selbstverständlich wie Zähneputzen.“ Denn unser Körper ist für Bewegung gemacht. „Unser genetischer Code ist darauf programmiert, aktiv zu sein.“
Zukunft Präzisionsfitness
Apropos genetischer Code: Auch die Künstliche Intelligenz (KI) mischt längst mit, wenn es um unsere Fitness geht. Tracking-Tools, smarte Uhren und Apps liefern eine beeindruckende Datenmenge – von der Schrittzahl über die Herzfrequenz bis zur Schlafqualität. Für viele ein zusätzlicher Ansporn: „Dass man seine Aktivitäten und biologischen Parameter mitdokumentiert, kann schon ein gewisser motivierenden Faktor sein“, sagt der Sportwissenschafter. Allerdings sieht er darin auch eine Schattenseite: „Es kann auch zu dem Punkt kommen, an dem man das Gefühl hat, nicht richtig trainiert zu haben, wenn nichts getrackt und aufgezeichnet wurde.“ Der Grat zwischen Motivation und Messwahn ist schmal.
Medizinisch bietet das digitale Erfassen körperlicher Aktivität aber enormes Potenzial – vor allem, wenn KI dazulernt. „Diese Datenflut kann künftig helfen, Trainingsprogramme besser zu personalisieren,“ so Csapo. Stichwort „Precision Exercise Medicine“. Dabei geht es darum, Bewegung individuell auf den Menschen zuzuschneiden, und zwar basierend auf genetischer Veranlagung, Umwelteinflüssen und persönlichen Zielen. Die Grundlagen dafür seien bereits gelegt: Das menschliche Genom ist entschlüsselt und erste Studien zeigen bereits, warum manche Menschen schneller Muskelmasse aufbauen oder besser auf Ausdauertraining ansprechen als andere.
Bis zur Umsetzung ist es trotzdem noch ein weiter Weg. „Ich würde sagen, diese Form der personalisierten Trainingssteuerung steckt noch in den Kinderschuhen“, schätzt der Sportwissenschafter. Wichtig sei vor allem: Je besser die Datengrundlage, desto gezielter könnten medizinische oder therapeutische Entscheidungen getroffen werden. „Aber momentan wird vermutlich mehr aufgezeichnet als sinnvoll verarbeitet“, sagt Csapo. Und erinnert zugleich an eine andere Baustelle: „Was mit den sensiblen Daten passiert, die wir über Smartwatches oder Apps an Tech-Konzerne liefern, bleibt unklar.“
Was jedoch bleibt, ist der klare Trend: Weg vom standardisierten Trainingsplan, hin zur maßgeschneiderten Bewegungstherapie. Der digitale Fortschritt zeigt, wohin die Reise geht. Und er bekräftigt, was ohnehin gilt: Wer sich bewegt, lebt besser. Wer sich gezielt bewegt, vielleicht sogar noch ein bisschen länger.
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